„Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor,...“ (Karl Marx; Das Kapital, MEW 23, S. 92) Bei Karl Marx und Friedrich Engels finden sich solche Sätze selten. Aussagen über die zukünftige sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft waren schon eher die Sache der utopischen Sozialisten, wie Fourier, Morus oder St. Simon, die in ihren Arbeiten der phantasievollen Ausgestaltung der Zukunftsgesellschaft breiten Raum widmeten.
Genau dagegen wandten sich Karl Marx und Friedrich Engels. Sie wollten in einer umfassenden Art und Weise die Gesellschaft analysieren und gleichzeitig eine Handlungsanleitung für die Arbeiterklasse liefern. Sie erkannten, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft, die durch den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital charakterisiert ist, sich der Mensch als „Gattungswesen“ nicht „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ entwickeln könne. Erst durch den revolutionären Akt der Vergesellschaftung der Produktionsmittel tritt die Menschheit „vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit“ (Engels), und „an Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Manifest der Kommunistischen Partei) Das bedeutet, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zwar ein notwendiger Akt zur Befreiung des „Gattungswesens“ Mensch ist, keineswegs jedoch ein hinreichender. Marx und Engels konnten und wollten kein Szenario des Kommunismus entwerfen, da eine Gesellschaft, die nicht mehr auf der unabdingbaren Basis eines Klassenwiderspruchs aufgebaut ist, qualitativ unterschiedliche Widersprüchlichkeiten und Mechanismen aufweisen wird. Und die wiederum können durch unsere „Eingebundenheit“ in eine Klassengesellschaft höchstens vermutet, nicht aber wissenschaftlich erkannt werden.
Die Diktatur des Proletariats
Karl Marx und Friedrich Engels sprachen von der „Diktatur des Proletariats“ als erstem Schritt zur Befreiung des Menschen von der Unterdrückung durch den Menschen. Seit der Oktoberrevolution hat dieser Begriff einen negativen, von der Bourgeoisie gefärbten Beigeschmack bekommen. Dazu kommt noch, Karl Marx und Friedrich Engels verstanden den Staat als Instrument der Unterdrückung einer Klasse durch eine andere - als Klassenstaat. Der kapitalistische Staat ist somit unabhängig von seiner konkreten Form - egal ob Demokratie, Monarchie, Diktatur, Faschismus usw. - eine Diktatur einer Minderheit (der Bourgeoisie) über die Mehrheit (das Proletariat).
Die Formel von der „Diktatur des Proletariats“ besagt in diesem Sinn nichts anderes, als die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, und das stellt auch das qualitativ Neue an einer solchen Gesellschaft dar. Die „Diktatur des Proletariats“ ist also jene Gesellschaftsform, mittels welcher das Proletariat seine Herrschaft nach einer siegreichen Revolution gegenüber der unterlegenen Bourgeoisie absichert. Es wäre ja auch naiv, zu glauben, dass sich die Bourgeoisie mehr oder weniger kampflos geschlagen gäbe. Somit beschwört jede Revolution mehr oder weniger auch die Konterrevolutionäre - also den „Überlebenskampf“ der Bourgeoisie, herauf. Gegen diese Konterrevolution muss sich das siegreiche Proletariat verteidigen und das gelingt eben mit dem Aufbau einer Gesellschafts- und Staatsstruktur, die diesen Zwecken entspricht.
Ist der Ausgangspunkt der „Sozialistischen Demokratie“ noch die Sicherung der Revolution vor der Konterrevolution, beginnt sie als Staat mit ihrem Erscheinen auch abzusterben. In dem Maße, wie sich die neuen Verhältnisse durchsetzen, verschwinden auch die Klassen der alten Gesellschaft. Eine Bourgeoisie, die nichts mehr besitzt und somit auch ihre alte Macht verliert, wird nur mehr physisch in den Menschen, die ihr einmal angehörten, weiter existieren. Diese Menschen sind es auch, die die alten Verhältnisse wiederherstellen wollen. Je besser und je länger sich die neue Gesellschaft entwickelt, umso seltener werden diese Anstrengungen werden, weil sie keine reale Basis in der Gesellschaft mehr vorfinden. In dem Maße, wie die Bourgeoisie verschwindet, hört auch das Proletariat als ihr historischer Konterpart auf, eine Klasse zu sein. Die Klassen verschwinden also, übrig bleibt letztlich der freie Mensch. Der Staat ist aber immer Mittel der Klassenherrschaft. Der proletarische Staat ist also Mittel der Herrschaft des Proletariats. Wenn also das Proletariat und mit ihm alle Klassen verschwinden, verschwindet auch der Staat und damit jede Herrschaft des Menschen über den Menschen. Es bleiben nur Aufgaben der Verwaltung und Administration. Wie dieser Weg genau vor sich gehen wird, läßt sich nicht vorhersagen, seinen Ausgangspunkt kann man dafür um so genauer definieren. Grundbedingung für den Weg zur klassenlosen Gesellschaft, der freien Assoziation freier Menschen, ist die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse - das Proletariat eben. Diese Machteroberung manifestiert sich in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel - das heißt, daß der Gesellschaft alles gehört. Dieser Punkt ist schließlich die Grundlage dafür, daß alle alles mitbestimmen können. Aber das ist noch nicht die Lösung aller Probleme, es ist erst die Grundlage zu einer Lösung. Das Primat der Politik über die Ökonomie wäre erstmals verwirklicht.
Demokratisch aufgebaute Strukturen und moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen es allen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe am Mitbestimmungsprozeß teilzunehmen. Sowohl in der Ökonomie, als auch in allen anderen politischen Feldern gilt: Demokratisches Mitarbeiten statt Repräsentationsdemokratie. Staatswesen und Militär werden ersetzt durch freie Zusammenschlüsse freier Menschen, Nationen und Staaten verschwinden, die Regierung über Menschen verschwindet, was bleibt ist - um es mit Karl Marx zu sagen - die „Administration von Dingen“.
Sozialismus fällt nicht vom Himmel
Natürlich ist nicht sicher vorhersehbar, wohin und wie sich eine klassenlose Gesellschaft entwickelt. Gesellschaftliche Veränderungen sind komplexe Prozesse, und auch mit Beseitigung der kapitalistischen (Un-)Ordnung sind natürlich längst nicht alle Probleme gelöst. Die Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft, die nicht den einheitlichen Menschen schafft, sondern lediglich einheitliche Ausgangsbedingungen zur vielfältigen Entwicklung aller Menschen, erfordert gerade jetzt, in Zeiten einer ideologischen Offensive des Kapitals, organisierten Widerstand. Wir müssen schon jetzt die Widersprüchlichkeiten des kapitalistischen Systems aufzeigen und angreifen. Die Vertröstung auf später bringt sie einer sozialistischen Gesellschaft keinen Schritt näher. Schon jetzt müssen sie Probleme, wie die Arbeitslosigkeit, Diskriminierung der Frau, Rassismus, Umweltverschmutzung, soziales Elend, Hunger, um nur einige wenige zu nennen, aufgreifen und versuchen, zu lösen. Dass diese Lösungen im Kapitalismus selbst keine dauerhaften sind, darf uns nicht vom Kämpfen abhalten.
Die Geschichte ist nicht zu Ende!
Der Kampf um den Sozialismus ist ein integraler Kampf, ein Kampf um Gleichberechtigung der Frau, um saubere Umwelt, ein Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, gegen den Hunger und gegen den Krieg. Letztlich aber ein Kampf um die Macht - Macht für die Mehrheit, ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können. Wann muss der Kampf geführt werden, wenn nicht jetzt? Die Geschichte ist nicht zu Ende, wie uns das bürgerliche wie auch sozialdemokratische und sozialistische Philosophen weismachen wollen. Im Gegenteil: Die Geschichte hat noch gar nicht begonnen. Denn, frei nach Friedrich Engels, erst in einer klassenlosen Gesellschaft beginnt die Geschichte der Menschheit und ist ihre Vorgeschichte zu Ende!
Wir müssen jetzt alle Energien darauf verwenden, eine Welt vorzubereiten, die eine Welt der freien Menschen sein wird. Viele Schritte sind noch zu tun. Es gilt von neuem, eine einheitliche revolutionäre Bewegung zur Überwindung des kapitalistischen Systems aufzubauen.
Nico
Quelle: Trotz Alledem
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